Geleitete Tanz und Gerichtslinden
„Geleitete Linden“ oder „Stufenlinden“ sind zu Bauwerken geformte Bäume. Die Äste sind zu einem waagerechten Laubdach gezogen, welches von Balken und Säulen gestützt wird. Über diesem Astkranz kann ein zweiter und dritter geleiteter Kranz folgen. So entstehen in der Baumkrone Lauben und Säle mit Boden, Decke und durchfensterten Wänden aus Laubwerk. Der Baumstamm wächst durch den Saal hindurch, welcher über Leitern oder Treppen zugänglich ist.
Diese Umformung des Lindenbaums setzt beachtliche Kunstfertigkeit voraus und erfordert regelmäßige Pflege über viele Generationen, oft über Jahrhunderte. Die Ursprünge lassen sich bis in vorchristliche Zeit zurückverfolgen. Sie wurzeln in heidnischer Baumverehrung und Vegetationskulten. Im Dorf war der geleitete Lindenbaum traditioneller Ort der Versammlungen. Unter seinem Laubdach fanden Gerichtsverhandlungen statt, in der Krone wurde getanzt. Geleitete Linden standen auch auf den Marktplätzen der Städte und vor den Stadttoren.
Diese Bauten aus lebenden Lindenbäumen waren im westgermanisch/deutschen Raum weit verbreitet. Das Gebiet reicht im Norden von den Niederlanden bis nach Ostpreußen, im Süden von Elsaß und Schweiz bis ins östliche Bayern. Ausländische Besucher haben schon im 15. und 16. Jahrhundert die Stufenlinden bestaunt und beschrieben. Auch heute noch gibt es überraschend viele Exemplare solcher Linden. Noch immer wird in manchen Gemeinden zur Kirchweih in der Lindenkrone getanzt.